starke Aussagen die Du triffst ohne die vollständigen Hintergrundinformationen zu besitzen. Oder hast Du?
Nun, ich beziehe mich fast vollständig auf seine öffentlichen Äußerungen und Handlungen. Das einzige spekulative Element das ich erkennen kann ist, ob es einen geheimen Kabinettsbeschluß gegeben hat, Taliban-Führer gezielt zu töten (es wäre mir jedenfalls nicht bekannt, daß dies der Öffentlichkeit mitgeteilt worden wäre). Nur dann wäre die Entscheidung von Oberst Klein, wiewohl formal angreifbar, Ausdruck des politischen Willens der Regierung.
Ich bezweifle stark, daß es einen solchen Geheimbeschluß gibt, weil sich die Regierung damit auf ein rechtlich extrem vermintes Gebiet begeben würde (und daß paßt weder in die Tradition deutscher Regierungen nach 1945 noch zum Naturell unserer Kanzlerin, der Meisterin des Abwartens).
Ich sage nicht, daß ich diese Politik gutheiße.
Aber jeder Soldat ist zunächst Instrument des Willens der Regierung, das ergibt sich schon allein aus der Tatsache, daß die Bw Teil der Exekutive ist. Wenn also schon aus dem ISAF-Bericht hervorgeht, daß die Prozeduren nicht eingehalten wurden (etwas, das mittlerweile wohl niemand mehr ernsthaft und glaubwürdig bestreitet), dann ist es in einem Rechtsstaat schon merkwürdig, wenn der Minister erklärt, Verfahrensfehler die zum Tod von 100 Nichtkombattanten führten, seien ihm insoweit egal, als er dem militärischen Führer weiterhin das Vertrauen ausspreche und (implizit) Karrierenachteile nicht zu befürchten seien.
Wie läßt sich diese Kognitive Dissonanz lösen?
Doch nur dann, wenn der Oberst zumindest dem Willen der Regierung entsprochen hat - frei nach dem Motto "Er hat das Richtige erreicht, wenn auch mit Abzügen in der B-Note für korrekte Bürokratie".
Wie o.a. halte ich es für sehr unwahrscheinlich, daß dies der Fall war. Der Minister hat also vorschnell ein Fehlurteil gefällt und versucht das nun damit zu erklären, daß ihm wichtige Unterlagen vorenthalten worden wären. Angesichts der Tatsache, daß der ISAF-Bericht allein schon Zweifel am Handeln von Oberst Klein formuliert, frage ich mich also, wie der Minister den ISAF-Bericht gelesen und verstanden hat, und was er denn in den anderen Berichten gefunden haben will, daß sein Urteil um 180° gedreht hat, und dies um den Preis, den Oberst eben doch fallenzulassen und bei der Entlassung des Generalinspekteurs nachzutreten.
Die Fakten liegen doch relativ klar und offen da. Sofern der ISAF-Bericht nicht grob falsch ist (und niemand, der die Geheimberichte kennt, hat bislang öffentlich auch nur angedeutet, daß der Bericht sachlich falsch wäre), muß man keine Geheimberichte gelesen haben, um zu erkennen, daß Faktenlage, öffentliche Äußerungen, und das Handeln des Ministers zu Guttenberg so ohne weiteres nicht miteinander in Übereinstimmung zu bringen sind.
Und wenn er, um seinen Arsch zu retten, einen Generalinspekteur feuert und ihm dann öffentlich und wahrheitswidrig nachsagt, der General habe ihm wesentliche Informationen bewußt vorenthalten, dann kann alles frische Auftreten ihn nicht mehr retten, und dann war seine sonstige Geradlinigkeit in Argumentation und Auftreten nur Fassade.
Sollte andererseits seine Darstellung der Unterschlagung von Berichten korrekt sein, bleibt immer noch zu klären, warum er den ISAF-Bericht so interpretiert hat wie er das tat, und was in den anderen Berichten steht, die die Sachlage in völlig anderem Licht erscheinen lassen. Sofern der ISAF-Bericht sachlich richtig ist, ist nicht zu erwarten, daß da irgendetwas steht, daß dem Minister hilft, nachvollziehbar zu begründen, warum er seine Meinung geändert hat bzw. warum er nur in Kenntnis des ISAF-Berichts zum Urteil "militärisch angemessen" gekommen ist.
Mein Eindruck ist, er wollte mit starken Worten einen guten Eindruck machen, und traf damit auf unerwarteten politischen Widerstand. Dann hat er hastig eine Wende vollzogen und versucht, die Verantwortung dafür auf Wichert und Schneiderhan abzuwälzen in der Hoffnung, die würde schon schön ihren Mund halten. Man kann von Schneiderhan und Wichert halten was man will, ein menschlich anständiger Umgang mit Untergebenen sieht anders aus.
Ebenso kann man von der Politik unserer Regierung halten was man will - nämlich Afghanistan nur auf kleinster Flamme köcheln zu lassen und zu hoffen, daß es schon irgendwie gutgehen möge und man einen Krieg führen könne, ohne ihn so zu nennen und ohne die Entscheidungen zu treffen, die nun mal mit einem Krieg verbunden sind - Töten nur in Selbstverteidigung und Nothilfe, oder auch aus Erwägungen der Zweckmäßigkeit. Wir beide sind Offiziere, uns beiden ist der Gedanke nicht fremd, daß Töten seine militärische Rechtfertigung findet, wenn es zweckmäßig ist.
Aber als Offiziere sind wir eben auch dem Primat der Politik unterworfen, und wenn sich die Regierung nicht dazu durchringen kann, das Töten aufgrund von Zweckmäßigkeit gutzuheißen, dann haben wir das hinnehmen, weil wir in unserem militärischen Handeln Instrumente sind. Wir dienen. Jedenfalls können wir nicht Schonung erwarten, wenn wir aus eigenem Entschluß den Befehl zum Töten aufgrund von Zweckmäßigkeit geben und zugleich die Einsatz- und Verfahrensregeln mißachten. Es mag dann ein Akt persönlicher Tapferkeit sein, den Entschluß dennoch zu fassen und zu tun, was man für Richtig hält, aber dann muß man auch die Verantwortung dafür übernehmen.
Ich vermag jedenfalls nicht nachzuvollziehen, was Herrn zu Guttenberg zum besten Verteidigungsminister seit Helmut Schmidt macht.