Von shz.de
ZitatAlles anzeigen
Jagel
Betrugsskandal bei der Luftwaffe
17. Dezember 2010 | 09:04 Uhr | Von Hannes Harding
Schwerer Betrug bei der Bundeswehr: Mehr als 50 Soldaten des Aufklärungsgeschwaders "Immelmann" rechneten jahrelang systematisch nicht geleistete Überstunden ab.
Für Oberst Karsten Stoye, bis vor wenigen Tagen Kommodore des Aufklärungsgeschwaders 51 "Immelmann" in Jagel bei Schleswig, ist es "einer der schwersten Betrugsfälle in der Geschichte der Bundeswehr". Über drei Jahre lang rechneten ausgerechnet bei jenem Geschwader, das wegen seines gerade beendeten Afghanistan-Einsatzes bundesweit Lob erfährt, Soldaten im großen Stil Überstunden systematisch falsch ab, um sich zu bereichern. 49 Unteroffiziere wurden bereits rechtskräftig verurteilt, die Verfahren gegen einen weiteren Soldaten und den Drahtzieher des Betruges, einen 51-jährigen Stabsfeldwebel, laufen noch. Vor der 6. Großen Strafkammer des Kieler Landgerichts wurde Anklage erhoben. Dem Haupttäter drohen mindestens vier Jahre Haft.
Von März 2005 bis ins Jahr 2007 hinein funktionierte das Betrugs-System. Der Stabsfeldwebel der Instandsetzungsstaffel ("Spieß") auf dem Flugplatz Jagel verabredete sich mit seinen Untergebenen, nicht geleistete Überstunden geltend zu machen. Der Vorgesetzte selbst erkannte diese an, das Geld wurde an die Soldaten ausgezahlt, und diese überwiesen wiederum die Hälfte der ergaunerte Summen auf das Privatkonto des Stabsfeldwebels. Ein Sprecher der Staatsanwaltschaft Kiel beziffert den nachweisbar entstandenen Schaden auf gut 81.000 Euro. Der tatsächliche Schaden könnte ebenso gut doppelt so hoch sein, sagt er. Die Schwierigkeit bestehe in vielen Fällen darin, die ungerechtfertigten von den tatsächlich geleisteten Überstunden zu trennen.
Geschwader hielt Affäre lange unter der Decke
Gut jeder fünfte Soldat der Staffel war an dem Schwindel beteiligt. Die Betrugsmasche flog auf, weil sich ein angesprochener Unteroffizier verweigerte und Vorgesetzte einschaltete. Dem Geschwader gelang es, die Affäre unter der Decke zu halten, auch wenn bundeswehrintern schnell die Bezeichnung "Fifty-Fifty" für das Jageler Aufklärungsgeschwader die Runde machte.
Der scheidende Kommodore Karsten Stoye selbst machte den Skandal jetzt öffentlich, als er bei der feierlichen Kommandoübergabe an seinen Nachfolger Hans-Jürgen Knittlmeier beiläufig vor mehreren hundert Gästen erwähnte, er habe das Geschwader nach seinem Amtsantritt im November 2007 in ruhiges Fahrwasser bringen müssen – unter anderem "nach einem der schwersten Betrugsfälle in der Geschichte der Bundeswehr".
Flensburger Stabsfeldwebel droht Haftstrafe von bis zu zehn Jahren
Wann die Verhandlung gegen den Stabsfeldwebel, auf dessen Konto die Soldaten mindestens 51.000 Euro überwiesen hatten, vor der Wirtschaftsstrafkammer des Landgerichts Kiel eröffnet wird, ist nach Auskunft der Staatsanwaltschaft noch unklar, voraussichtlich aber nicht vor Ende 2011. Dem Mann werden gewerbsmäßiger Betrug in 52 Fällen, erwerbsmäßige Bestechlichkeit in 47 Fällen sowie Steuerhinterziehung vorgeworfen. Dem vom Dienst suspendierten Flensburger droht eine Haftstrafe von nicht unter vier, im Maximalfall bis zu zehn Jahren.
Zahlreiche der rund 50 in den Betrug verwickelten Unteroffiziere wurden nach Angaben eines Geschwader-Sprechers inzwischen aus dem Dienst entfernt oder degradiert.