Bild Bericht vom (ich glaube) 11.04.2010

  • Von MICHAEL BACKHAUS, *ALBERT LINK und BURKHARD UHLENBROICH
    BILD am SONNTAG


    Bundeswehrkrankenhaus Koblenz, Station für „Plastische und Wiederherstellungschirurgie/Verbrennungsmedizin“, gestern 14.15 Uhr. BILD-am-SONNTAG-Reporter treffen Oberfeldwebel Marc P. (26, Name geändert), einen der acht verwundeten Bundeswehrsoldaten der schweren Gefechte bei Kunduz am Karfreitag. Marc P. sitzt im Rollstuhl, er spricht konzentriert, sein Händedruck ist kräftig. Auf seinem Gesicht liegt ein zaghaftes Lächeln. Es sollte das einzige während des gesamten Gesprächs bleiben.


    Marc P. spricht als erster Teilnehmer des gut zehnstündigen Gefechts von Kunduz, des längsten Gefechts für deutsche Soldaten seit 1945. Geboren wurde er in Jordanien, kam aber schon mit drei Jahren in den Ruhrpott. Seit 2004 ist er bei der Bundeswehr, 2007 kam er zu den Fallschirmjägern nach Seedorf.


    Zum Gespräch überreden musste man ihn nicht. Marc P.: „Ich möchte, dass die Menschen in Deutschland verstehen, was in Afghanistan gerade passiert, und ich möchte, dass die Gesellschaft diesmal nicht nach ein paar Tagen wieder zur Tagesordnung übergeht.“


    Nach Afghanistan kam er vor fünf Wochen, der Kampf am Karfreitag war nicht sein erstes Feuergefecht. Marc P. erinnert sich: „Wir waren vor Ort, um Sprengstofffallen aufzuspüren. Es war kurz nach 13 Uhr. Wir waren die Ersten, auf die das Feuer eröffnet wurde. Die Kugeln kamen von mehreren Seiten, gesehen habe ich nur eine Person.“


    Marc P. wird getroffen, dreimal in die Beine. „Ich habe etwas Heißes gespürt. Dann spürt man nur noch Schmerz und das Pochen des Blutes, hofft, dass man bald eine Morphiumspritze bekommt.“


    Bis es so weit ist, durchlebt er schreckliche Momente: „Ich lag verwundet mitten auf dem Feld, die Kameraden haben mich zunächst hinter eine Mauer geschleppt. Ich bin Protestant, ich glaube an etwas, was man Gott nennt. Ich habe in dieser Zeit gebetet.“


    Ein Kamerad erhält einen Streifschuss, überlebt. Tragisch: Etwas später bei der Explosion eines Transportpanzers Dingo kommt er zusammen mit einem Kameraden ums Leben.


    Insgesamt sterben in dem Gefecht drei Kameraden von Marc P. Mit zwei von ihnen hat er auch öfter privat etwas unternommen. Über sie sagt er: „Ich kann den Charakter meiner gefallenen Kameraden nur so beschreiben: 1000-prozentige Treue zu den Kameraden und gegenüber dem Land.“ Die Trauerfeier für sie hat er am Fernsehen verfolgt, fand sie „sehr würdig“.


    Geschockt war Marc P., als er das Foto sah, das Taliban in Siegerpose vor dem zerstörten Dingo zeigt: „Ich habe einen der Abgebildeten wiedererkannt. Eine Stunde vor dem Angriff hat er mir noch zugelächelt, als alles noch ruhig war.“ Er hält inne, als erlebe er die Szene noch einmal, und wiederholt: „Er hat gelächelt.“


    Wegen der starken Medikamente hat Marc P. Erinnerungslücken, was seine Rettung betrifft. „Aber das, was ich mitbekommen habe, war: Es hat alles perfekt geklappt. Die Amerikaner sind mit ihren Black Hawks gelandet, um uns zu retten, obwohl sie unter Feuer genommen wurden. Aber auch die Kameraden meines Zuges haben beim Abtransport ihr Leben riskiert. Ihnen verdanke ich, dass ich noch am Leben bin.“


    Zu den emotionalsten Momenten nach seiner Rettung gehört für Marc P. der Augenblick, als er seine fast dreijährige Tochter im Krankenhaus wieder in die Arme schließen konnte. „Sie kann noch nicht verstehen, was Krieg ist. Und glauben Sie mir: Es ist unangemessen, von kriegsähnlichen Zuständen zu sprechen. Dort, wo ich gerade herkomme, herrscht Krieg.“


    Marc P. hat Glück im Unglück gehabt. Die Ärzte haben ihm gesagt, dass bis auf ein paar Narben alles verheilen wird. Deshalb steht für ihn fest: „Ich werde eines Tages wieder nach Afghanistan gehen.“


    Marc P. ist ein Soldat so recht nach dem Herzen seines Kompaniechefs, Hauptmann Jan S. Für ihn lautet die Antwort auf den schwarzen Karfreitag von Kunduz: „Wir werden weiterkämpfen, wenn es sein muss! Meine Soldaten werden nicht klein beigeben. Deshalb bin ich stolz auf sie.“


    Der Kompaniechef räumt aber ein, dass er und seine Männer eine solche Situation wie am Karfreitag nicht wieder erleben wollen: „Die Aufständischen haben es geschafft, trotz des Einsatzes sämtlicher Aufklärungsmittel, uns zu überraschen. Mit einer recht hohen Zahl von Kämpfern sowie massivem Einsatz von Handfeuerwaffen als auch Panzerfäusten ist es ihnen gelungen, uns unter Druck zu setzen.“ Er selbst hatte Glück, einige Geschosse verfehlten ihn nur knapp.


    Marc P. freut sich jetzt vor allem auf Freundin, Tochter und seine Familie, sobald er das Krankenhaus verlassen kann. „Und dass ich keine weißen Wände mehr anstarren muss.“ Er weiß, dass die Rückkehr in die Normalität, in den Alltag nicht leicht sein wird. „Es ist schwer, Menschen den Krieg zu erklären, die keine Vorstellungen von der Realität in Afghanistan haben. Deshalb hilft es mir sehr, dass ich mich hier im Krankenhaus mit einem Kameraden austauschen kann, der auch bereits wieder auf dem Weg der Besserung ist. Wir müssen uns gegenseitig nichts erklären.“


    Auf seinem Nachttisch stehen Medikamente, eine Flasche Punica, auf dem Fenstersims Zeitschriften, Blumen, ein paar Fotos. Der Blick geht nach draußen in den Frühling, die Obstblüte hat am Rhein schon in voller Pracht begonnen.


    Im Mai feiert Marc P. seinen 27. Geburtstag. http://www.bild.de/BILD/politik/2010/04 ... eitag.html