Die dunkle Seite des Soldatentums

  • Ein interessanter Artikel von welt.de vom ehemaligen Generalinspekteur Naumann.



    Die Menschen in Deutschland müssen wissen, was Soldatentum in unserer Zeit heißt: Der Soldat übt Gewalt im Auftrag dieser Gesellschaft aus, um anderen den Willen dieser Gesellschaft aufzuzwingen. Von*Klaus Naumann



    Die Bundeswehr ist seit Ende des Kalten Krieges niemals zur Ruhe gekommen. Sie ist seit 1992 mit einzelnen Truppenteilen im Einsatz, hat sich in all ihren Einsätzen bewährt und war gleichzeitig anhaltendem Wandel ausgesetzt. Ich habe 1992 als Generalinspekteur der Truppe gesagt, dass mit der deutschen Einheit das Motto des Kalten Krieges "Kämpfen können, um nicht kämpfen zu müssen" seine Gültigkeit verloren hat und ich habe damals die Soldaten aufgefordert, sich auf die neue Wirklichkeit einzustellen, in Einsätzen fern der Heimat kämpfen zu müssen.


    Bei der Kommandeurtagung in München 1995 habe ich dann als Leitbild des Soldaten vorgegeben: Schützen, Helfen, Kämpfen. Doch reicht dies nun nach dem tief greifendsten Wandel seit Ende des Zweiten Weltkrieges, in der Wandlung der Bundeswehr zu einer Freiwilligenarmee, noch aus?



    Der Generalinspekteur hat 2012 Leitgedanken zu "Soldat sein heute" herausgegeben und deren breite Diskussion in der Bundeswehr gefordert. Die Diskussion muss noch weiter greifen! Sie muss die ganze Gesellschaft erfassen, auch weil das durch die Wehrpflicht gebildete starke und stets junge Band zwischen Bundeswehr und Gesellschaft nicht mehr besteht, und weil die Bundeswehr durch die weitere Verringerung der Truppenstärke und die Aufgabe vieler Garnisonen aus dem Blick der Menschen verschwindet.
    Der Schutz der Heimat in der Fremde
    Diese Diskussion muss in einer Welt geführt werden, deren weitere Entwicklung immer schwerer vorhersehbar geworden ist und in der Ungewissheit und Unsicherheit zunehmen. Vielleicht geschieht dies auch, weil die Gewissheit zunimmt, dass trotz vieler offener Fragen in Europa Krieg zwischen den europäischen Staaten so unwahrscheinlich geworden ist, dass man diese Geisel Europas als gebannt ansehen kann. Damit entfällt jedoch weitgehend die für Jedermann einsichtige Begründung von Streitkräften, ihre Aufgabe nämlich, die Menschen und das Gebiet des eigenen Staates wie der Bündnispartner durch Verteidigung zu schützen.
    Dieser Schutz findet heute fern der Heimat statt, denn es gilt, die Gefahren durch Einsatz in der Fremde von der Heimat abzuhalten. In diesen Einsätzen hat sich die Bundeswehr seit 1992 in vielen Teilen der Welt bewährt, sie hat geholfen, geschützt und gekämpft, und sie kämpft noch immer in Afghanistan.
    Deutsche Soldaten leisten in diesen Einsätzen Vorzügliches, doch unsere Gesellschaft nimmt das kaum wahr, allenfalls wenn Negatives zu berichten ist. Das Verhältnis der Gesellschaft zu den Soldaten bleibt so ein distanziertes: Aus dem notwendigen Übel des Kalten Krieges wurde die ungeliebte Nebensache, die Gefahr läuft – sollte eine Mehrheit der Deutschen der Illusion eines utopischen Pazifismus erliegen – zur überflüssigen Unbekannten zu werden.



    Die Parlamentsarmee


    Die Bundeswehr ist eine Parlamentsarmee. Das heißt nichts anderes als: Die Bundeswehr besteht, weil die Bürger ihre Existenz mehrheitlich bejahen und weil sie es doch letztlich sind, die Truppenteile durch das Mehrheitsvotum im Bundestag in bewaffnete Einsätze schicken. In diesen Einsätzen müssen die Soldaten im Auftrag der Deutschen im äußersten Fall auch töten, und sie haben das Risiko auf sich zu nehmen, in Erfüllung ihres vom Bundestag erteilten Auftrages möglicherweise getötet zu werden.
    Es sind somit letztlich alle Deutschen, die zu verantworten haben, was diese Bundeswehr tut und was in ihr geschieht. Desinteresse ist deshalb nicht angesagt, sondern das Gegenteil: Die Menschen in Deutschland müssen wissen, was Soldatentum in unserer Zeit heißt. Es genügt nicht, wie es der Generalinspekteur fordert, dass die Gesellschaft die Leistung der Bundeswehr anerkennt, nein, sie muss mehrheitlich bejahen, was die Truppe tut.
    Es wäre ein Zeichen demokratischer Reife, wenn man sich hierzulande zu der Haltung der großen angelsächsischen Demokratien durchringen könnte: Es wird erbittert um die Entscheidung über den Einsatz gerungen, fällt sie aber, dann muss die überwältigende Mehrheit unseres Volkes hinter den Soldaten und ihren Familien stehen.


    Kriege und Wohlfühlgesellschaft
    Bewaffnete Einsätze bleiben wahrscheinlich; deswegen ist diese Auseinandersetzung geboten, denn in den Einsätzen müssen die Soldaten im äußersten Falle etwas tun, was westliche Gesellschaften mehrheitlich ablehnen: Sie wenden tödliche Gewalt an, weil es zum Beruf des Soldaten gehört, dieses äußerste Mittel autorisierter und rechtmäßiger (Gegen-)Gewalt anzuwenden.


    Der Soldat wird deshalb in letzter Konsequenz immer Kämpfer sein müssen, das ist das unverändert beständige Element des Soldatenberufs. Verändert hat sich nur die Legitimierung der Gewalt, deren Anwendung in Angriffskriegen unter Verfassungsverbot steht, die aber in Selbstverteidigung oder auf der Grundlage eines internationalen Mandates erlaubt ist.


    Der Soldat muss somit etwas tun, was große Teile der Gesellschaft als archaisch ansehen und am liebsten ächten würden: Er übt Gewalt im Auftrag dieser Gesellschaft aus, um anderen den Willen dieser Gesellschaft aufzuzwingen. Das ist die dunkle Seite des Soldatentums und über sie muss man sprechen, nicht über die von der Wohlfühl-Gesellschaft akzeptierten Einsätze zur Hilfeleistung in Notlagen oder zum Schutz bedrohten Lebens. Man muss darüber sprechen, weil der Soldat nach seinem Einsatz wieder respektierter Bürger einer Gesellschaft sein muss und will, die am liebsten totschweigen würde, dass Soldaten kämpfen müssen.



    Soldaten sind Kämpfer
    Auf den gesellschaftlichen Konsens in diesen Fragen hinzuwirken, wäre die Pflicht der Abgeordneten des Deutschen Bundestages. Sie haben durch den Parlamentsvorbehalt nicht nur das Recht über den Einsatz der Bundeswehr zu entscheiden und dessen Ausführung zu überwachen, sie haben auch die Pflicht, sich um die Menschen und deren Achtung durch die Gesellschaft zu kümmern, die für Deutschland in Einsätze gehen und dort kämpfen.
    Die neue Dimension des Soldatenberufes ist somit der Kampf ohne leicht erkennbaren Bezug zur Heimatverteidigung, während die Gesellschaft, aus der die Soldaten kommen und für die sie die Gefahren fern halten, daheim in Frieden lebt. Es wird Zeit, eine solche längst überfällige Diskussion über Soldatentum in unserer Zeit anzustoßen.



    Dieser Beitrag ist – leicht gekürzt – folgendem Buch entnommen: M. Böcker, L. Kempf, F. Springer (Hg.): Soldatentum. Olzog Verlag, München. 224 S., 29,90 €.