Grundsätzlich ist die Wehrpflicht ein sehr tiefer Eingriff in die Bürgerfreiheiten und muß schon sehr gut begründet sein, um sie einzuführen bzw. aufrechtzuerhalten. Argumente wie "Zivildienstleistende, die dann fehlen" sind Schwachfug, es gibt den Ersatzdienst nur deswegen, damit nicht jeder den Wehrdienst mit einer im Kern unwiderlegbaren Behauptung hinsichtlich seines Gewissens verweigert und dann gar nichts tun muß.
Ebensowenig kann man die pragmatische Begründung gelten lassen, die Wehrpflicht sei das wirksamste Instrument zur Personalgewinnung. Das ist zwar so, aber mit so einer Begründung könnte man genauso eine Dienstpflicht zu einem Praktikum bei der Feuerwehr, der Polizei, oder auf Rummelplätzen einrichten. Die Bundeswehr hat jahrzehntelang ein Privileg genossen, das ihr auf Kosten der Bürgerfreiheit eingeräumt wurde; wenn das entfällt, muß man sich eben umstellen.
Im Grunde kann nur dann die Wehrpflicht begründet werden, wenn es eine glaubhafte militärische Bedrohung des eigenen Staatsgebiets gibt und/oder der Staat eine Bündnisverpflichtung eingegangen ist, die zwingend die Bereitstellung einer großen Massenarmee erfordert.
Beides ist nicht der Fall, daher muß man, wenn man die Freiheit der eigenen Bürger ernstnimmt, auch die Wehrpflicht aufgeben. Gewiß ist es unpraktisch, je nach geopolitischer Wetterlage quasi Tagesaktuell Wehrpflicht einzuführen oder wieder abzuschaffen. Pro oder kontra Wehrpflicht ist eine auf Jahrzehnte angelegte strategische Entscheidung, daher darf es auch zwei Jahrzehnte dauern, bis nach dem Wegfall einer erkennbaren militärischen Bedrohung des Staatsgebiets auch die Wehrpflicht abgeschafft werden kann. Man hätte die Entscheidung gewiß auch schon 1995 treffen können - ich finde, man hätte sie treffen sollen - aber der Gesetzgeber hat in dieser Hinsicht aus gutem Grund viel Spielraum.
Wenn wir also das volle Spektrum der Kriegsführung für verzichtbar halten und uns darauf verlassen, daß im Bündnis alle Kernfähigkeiten erhalten bleiben, dann kann man gewiß auch über den Wegfall ganzer Truppengattungen nachdenken. Man muß sich natürlich im klaren darüber sein, daß sich das Risiko sprunghaft erhöht, im konkreten Einsatz dann doch Fähigkeitenlücken aufzuweisen, beispielsweise aufgrund der mehr oder minder bizarren nationalen Vorbehalte, wie das in Afghanistan zur genüge zelebriert wurde (nicht zuletzt von Deutschland, machen wir uns da nichts vor).
Nun könnte man sagen, daß schwer gepanzerte Kräfte "die" Kernkompetenz der Bundeswehr war, ebenso wie wir hier eine spezielle industrielle Kompetenz zumindest hatten, vielleicht auch noch haben, und daß der NATO insoweit am Besten damit gedient wäre, wenn wir unsere geliebten Leoparden, Pumas und PzH 2000 in voller Stärke beibehielten. Da wir in der Praxis aber diese Systeme nur unter größtem parlametarischem Kreißen tatsächlich in den Einsatz bekommen und viel eher leichte Infanterie und Hubschrauber sowie einen überproportionalen Anteil an Führungskräften und Logistikern ins Ausland verfrachten, ist es nur konsequent, gerade in diesem Bereich am Stärksten abzubauen. Das wird uns zwar irgendwann auf die Füße fallen, aber so ist das nun mal - Parlamente und Regierungen sind gegen dumme Eseleien nicht gefeit, und wenn eine Partei wie die CDU eine offensive Wahlkampagne mit dem Kernthema "Verteidigung" führen würde, würde sie wohl an der Urne abgewatscht - insofern haben wir das Parlament, das wir verdienen, und bekommen so auch eine Armee, die in etwa der veröffentlichten Meinung entspricht.
Als Gesellschaft haben wir uns zwanzig Jahre lang um die Frage herumgedrückt, was für eine Bundeswehr wir wollen und wie wir mit ihr umgehen sollen. Offenkundig ist dieses Land nicht bereit, mehr als ein Prozent des Bruttosozialprodukts für die Verteidigung auszugeben. Dann sollten wir auch so ehrlich sein, und unsere Armee auf ein Maß schrumpfen, daß zu diesen Budgetvorstellungen paßt. Wer das nicht will, muß dafür kämpfen, daß wir mehr Geld für die Bundeswehr ausgeben, und er muß auch sagen, wo es an anderer Stelle eingespart werden soll. Und das geht im Grunde ausschließlich über höhere Steuern und/oder Einsparungen bei den Sozialausgaben - viel Spaß dabei.